Bilbao: Shake Well

Bilbao: Shake Well

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Die Hamburger haben zwar nichts mit Nordspanien zu tun, aber ihre Musik versprüht trotzdem pure Sonnenstrahlen.

Es ist schon was dran: Die schönsten Songs über das Meer werden im nassgrauen Nieselregen geschrieben.

Denn nur wer so richtig in der Tristesse steckt, hat das größte Bedürfnis, mal für ein paar Minuten aus der Realität zu entfliehen – und da ist der Strand natürlich ein logisches Ziel für Träume.

Also eigentlich nur folgerichtig, dass die Hamburger Band Bilbao im Spätlockdown das vielleicht schönste Sommeralbum seit Langem geschrieben hat.

 


Zu Gast in Kurt Weils Ballhaus

Auch wenn Shake Well sozusagen das Debütalbum ist, sind die Jungs von Bilbao eigentlich alle schon erfahrene Recken. Léons Stimme kennt man vom Dreampopgeheimtipp Lemony Rug, Drummer Jan war mit seiner Band schon als Support für die Leoniden unterwegs und Bassist Jannes kennt der ein oder andere Rapfan vielleicht unter seinem Künstlernamen Jomo.

Kein Wunder also, dass Bilbao wie ein raffiniert gemixter Genrecocktail klingen. Da sind die Gitarren, die mal nach Two Door Cinema Club, dann wieder nach Jack Johnson klingen. Bassist Jannis lässt nicht nur sein Instrument brummen, er versüßt auch noch so gut wie jeden Song mit passenden Samples und gute Laune, die direkt in die Tanzbeine fließt, hat sowieso fast jeder Song zu Genüge. Wenn Léon dann auch noch in "Mojito" den plötzlichen Endorphinrausch wenn man den nächsten Crush sieht besingt, taut selbst die allertiefste Wintertristesse auf:

Bilbao machen Musik, die das Meer erst so richtig zum Glitzern bringt.  


Da macht es auch nichts aus, dass Bilbao absolut nichts mit der Stadt in Nordspanien zu tun haben: Ihr Bandname stammt von einem alten Kurt Weil Gassenhauer ab. Der Komponist hat sich schon in den Goldenen Zwanzigern in ein baskisches Ballhaus geträumt – und war somit Vorreiter für die Stimmung, die jetzt auch Bilbao rüberbringen wollen.

 

Geschüttelte Gesellschaftskritik

Die Hamburger wollen allerdings deutlich mehr als den gepflegten Cocktailvollrausch am Sandstrand: Denn auch wenn der Sound nur so vor Tanzbarkeit sprüht, gehen die Texte an deutlich empfindlichere Stellen. In "Parasols" wird die nahe Zukunft besungen – wenn hohe Temperaturen nicht mehr Spaß im Freibad, sondern Albtraum in der Dachgeschosswohnung und Dürrekatastrophe bedeuten. "Pizza Boxes" klingt kindisch verspielt, zeichnet aber eigentlich ein recht graues Bild vom Erwachsenentrott. Und "Slow it Down", der einzige Song, der mit Featuregästin Thala und ohne konstante Gute Laune auftritt, zeigt, wie schwer es sein kann, nach dem Social Distancing-Zeitalter wieder in den scheinbaren Normalzustand überzugehen.

Die zermürbenden Probleme unseres Alltags werden in zuckersüße Popsongs verwandelt.


Nichts davon kommt mit erhobenem Zeigefinger daher, aber so wird eben auch beim Tanzen die Aufmerksamkeit auf die Probleme der Gesellschaft gelenkt. Bilbao machen also nicht nur mitreißenden Indie, sie definieren gleich noch den Eskapismus neu.

Um der Realität möglichst wirksam zu entfliehen, muss man sich dem realen Irrsinn nämlich auch irgendwie bewusst sein.

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Tracklist: Bilbao - Shake Well

  1. Ok Bye
  2. Get Up!
  3. Mojito
  4. Parasols
  5. Wild At Heart
  6. Pizza Boxes
  7. Slow It Down
  8. Pumpkin
  9. Hangry
  10. Right Above Your Open Eyes

Shake Well von Bilbao wurde am 24. Juni 2022 via PIAS veröffentlicht.

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