Das britische Trio entdeckt eine ganz neue Zärtlichkeit für sich.
Träumen Androiden jetzt eigentlich von elektrischen Schafen?
Diese Frage ist immer noch offen, trotz zweier Filme in unzähligen Versionen und sogar noch mehr Fantheorien. Also müssen wohl wieder alt-J der Frage auf den Grund gehen: Seit fast einem Jahrzehnt sind die Briten mittlerweile als digitale Aufklärer unterwegs und jetzt wollen sie sich den Träumen widmen.Eines vorweg: Schafe spielen dabei nur eine von vielen Rollen
Bitcoin Blues
Träume können manchmal ziemlich unzusammenhängend sein: Manchmal träumt man noch von einer relativ unspektakulären Univorlesung – wenige Momente später prügelt sich dann eine K-Pop-Band mit gefräßigen Leoparden. Und auch der Traum von alt-J macht mehrere, fast schon absurde Schlenker: Zum Beispiel machen sie sich auf Goldsuche – klar, wer hat noch nie von grenzenlosem Reichtum geträumt. Aber trotz lässigem Cowboysound wird nicht in der amerikanischen Steppe geschürft, das Trio ist auf das digitale Gold aus. Wer jetzt leichte Sorgen bekommt, darf aufatmen: alt-J haben sich nicht in unausstehliche Crypto-Bros verwandelt, sondern werfen in "Hard Drive Gold" einen zynisch-gehässigen Blick auf die digitale Wohlstandsjagd.Auch sonst wechseln Gus, Thom und Joe munter zwischen allen möglichen existenziellen Fragen hin und her. Gleich der Opener "Bane" bringt die letzten Worte von Jesus mit Swimmingpools und Kapitalismuskritik zusammen – bei einem Song, der eigentlich von Coca Cola handelt. "Happier When You’re Gone" klingt nach sanfter Trennungshymne, bekommt aber einen leicht gruseligen True Crime-Anstrich – den "The Actor" gleich noch weiterführt.
Klingt fast so, als müsste The Dream eigentlich The Nightmare heißen, aber alt-J haben auch wohlige Träume von bedeutungsvollen Begegnungen, grenzenloser Euphorie und dem ein oder anderen gelungenen Drogentrip eingebaut.
Mörderische Wiegenlieder
So schrill vielseitig die zusammengeträumten Themen der Platte auch sind, der Sound von The Dream wirkt fast so, als wollte er das Chaos ein bisschen in gerade Bahnen drücken. Das mit dem Mercury Prize ausgezeichnete Debütalbum läuft auch schon fast zehn Jahre auf Dauerschleife. Trotzdem haben sich die Engländer ziemlich schnell von der eigenen Erfolgsformel emanzipiert – und The Dream ist dem alten Sound sogar noch mehr entrückt. Ohrwürmer wie "Breezeblocks" oder auch die synthetische Wucht von "Every Other Freckle" und "Dissolve Me" hört man nur noch selten. Dafür klingen alt-J meistens fast schon zärtlich.Songs wie "Get Better bestehen fast nur aus Joes Stimme und anmutigem Gitarrenspiel, "U&ME" ist zwar noch der hitverdächtigste Song der Platte, aber auch dieser kommt mit fast schon reduziertem Klangbild aus. So klingen alt-J zwar weniger schrill als früher, die übliche Experimentierfreude ist aber durchaus noch vorhanden und kein einziger Song klingt uninspiriert. Wenn dann mal "Philadelphia" ein grooviges Orchester heraufbeschwört, oder "Chicago" düstere Clubbässe einstreut, bricht das die Stimmung angenehm auf und gibt The Dream eine angemessene Tiefe.
Artikel teilen: