Was ist Kunst?

Was ist Kunst?

Kurator der Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek der Moderne Oliver Kase im Interview

Wie entscheidet man eigentlich, welches Bild in einem Museum ausgestellt wird? Und was macht ein bedeutendes und wertvolles Werk aus? Darüber haben wir mit Museumskurator Oliver Kase gesprochen.

Kunst als Job

Oliver Kase ist leitender Kurator der Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek der Moderne. Das bedeutet, dass er einerseits auch einen ganz normalen Bürojob mit viel Verwaltungskram und Bürokratie zu erledigen hat. Andererseits kann er sich jeden Tag mit dem Thema Kunst auseinandersetzen, mit Kunstsammler*innen und Künstler*innen sprechen oder mit Architekt*innen und Grafiker*innen kommende Ausstellungen planen. Außerdem ist er so immer auf dem Laufenden, welche Werke beispielsweise neu auf dem Auktionsmarkt sind.
"Wenn man das immer im Kopf hat, was für eine beglückende Erfahrung das ist sich mit Kunst zu beschäftigen, mit Künstlern, mit Sammlern - dann macht man das Alltagsgeschäft auch ganz gern." - Oliver Kase

Was genau für ihn Kunst bedeutet, was er von Spekulation mit Kunst hält und wer für ihn die größten Künstler*innen aller Zeiten sind, hat uns Oliver im Interview verraten.


Wie entscheidet man als Kurator*in, was ausgestellt wird?

Zuhause hat Oliver unter anderem ein Stück japanisches Geschenkpapier gerahmt und an der Wand hängen - einfach, weil es ihm so gut gefällt. Doch wie schaut es da im Job aus? Worauf muss er als Kurator achten und wie wählt er die Werke aus, die letztlich ausgestellt werden? Auch wenn sich die Auswahlkriterien für die Sammlung teils stark verändern und natürlich aktuelle Strömungen eine Rolle spielen, geht es viel darum, Dinge zu zeigen, die einzigartig und besonders sind. 
"Es gibt natürlich Meisterwerke der Sammlung Moderne Kunst, die man zumindest in Auswahl immer präsentieren möchte. Ich sag ein Beispiel – eine großartige Sammlung expressionistischer Gemälde, wir haben eine großartige Sammlung von Ernst Ludwig Kirchner, wir haben die europaweit größte Sammlung von Gemälden von Max Beckmann. Und das sind Werke die man in Auswahl natürlich immer zeigen möchte und die man zeigt. Aber natürlich haben sich in letzter Zeit die Kriterien der Auswahl verändert beziehungsweise wir versuchen viel stärker als früher nicht so autoritär [...] zu sein, sondern einfach die Kriterien, nach denen wir auswählen, mit zudenken. Und vielleicht auch stärker den Kanon zu hinterfragen - den westlichen Kanon - Werke zu zeigen, die man sonst eigentlich nicht sieht." - Oliver Kase

Dazu gehört beispielsweise die aktuelle Ausstellung "LOOK AT THIS" in der Pinakothek der Moderne von Olivers Kollege Bernhart Schwenk und dem nigerianischen Gast-Kuratoren Folakunle Oshun. Ziel der Ausstellung ist es unter anderem eben genau diesen westlich-geprägten Blick zu hinterfragen. Durch die Ausstellung werden Besucher*innen direkt mit in das Hinterfragen einbezogen und zum Nachdenken angeregt.


Gutes Bild, schlechtes Bild?

Trotzdem - was macht letztlich den Wert eines Kunstwerkes aus, sodass es in einem Museum wie der Pinakothek der Moderne ausgestellt wird? Die Frage ist laut Oliver nicht so ganz einfach zu beantworten. Bei älteren Werken ist das Ganze noch etwas einfacher, denn hier spielen Faktoren wie Seltenheit und Exklusivität eine Rolle. Auch die malerische Qualität der Bilder ist natürlich wichtig.
"Entscheidend ist gar nicht so sehr der Marktwert, den ein Künstler hat, sondern der kunsthistorische Stellenwert, für den man aber natürlich die Biografie des Künstlers und seine Zeit und eigentlich auch seine Intentionen und sein Konzept relativ genau kennen muss. Das heißt, man muss eigentlich bei jedem Kunstwerk sich genau überlegen - warum ist das wertvoll für uns? Und das ist eben häufig eine Diskussion, das verändert sich auch relativ stark." - Oliver Kase

Beispielsweise wird aktuell ein Bildteppich einer Künstlerin in der Ausstellung "AU RENDEZ-VOUS DES AMIS" gezeigt, der 60 Jahre lang überhaupt nicht zusehen war, weil sich niemand dafür interessiert hat. Dadurch, dass sich die Perspektive von Kurator*innen - genau wie die Perspektive der Gesellschaft - mit der Zeit ändert und nun beispielsweise auch Künstlerinnen der Moderne mehr Beachtung geschenkt wird, werden Werke, die vielleicht jahrelang in Depots lagerten, endlich ausgestellt. 
"Weil wir eine Gemäldesammlung sind, ist der Fokus natürlich immer nur auf Gemälden gewesen. Aber wir haben eben auch textile Arbeiten, dazu gehört dieser Teppich von Johanna Schütz-Wolff, der wunderbar ist." - Oliver Kase

Vitamin B für die Kunst

Damit Künstler*innen erfolgreich waren (beziehungsweise sind), gehört auch ein gutes Netzwerk zur Vermarktung der Kunst dazu - Kritiker*innen, Ausstellungen, wichtige Sammler*innen. Je mehr Menschen sich für die Werke interessieren, desto besser. Damit etwas lange Zeit überdauern kann, reicht das allerdings allein nicht aus.
"Ich glaube im Gegensatz zu anderen nicht, dass das alles nur eine Frage der Kalkül ist und der richtigen Kontakte, sondern es muss einfach in der Substanz, was sehr Originelles, was Außergewöhnliches da sein, wenn das über mehrere Generationen tragen soll." - Oliver Kase

Wenn du ein*e Kunstexpert*in also nach dem oder besten lebenden Künstler*in fragst, könntest du genauso gut nach dem besten Essen der Welt fragen.

Es spielen zu viele Faktoren mit rein, um diese Frage ein für alle Mal zu beantworten. 

"Das ist immer sehr, sehr abhängig vom eigenen Geschmack, von der eigenen Prägung, von der eigenen Reisetätigkeit und in einer globalisierten Kunstwelt muss man, glaube ich, bescheidener denn je sein, den Anspruch zu erheben, alles zu kennen, was in dieser Welt passiert. Aber es gibt natürlich Rankings, wo die immer gleichen Künstler und Namen die oberen Plätze belegen." - Oliver Kase

Dazu gehören beispielsweise Gerhard Richter, Bruce Nauman, Pipilotti Rist oder Rosemarie Trockel. Persönlich findet Oliver Künstler*innen interessant, die sich auch über viele Jahre hinweg immer wieder neu erfinden können, mutig sind und sich nicht auf ihrem Erfolgsrezept ausruhen.

Manchmal muss man eben auch was riskieren und mit der Zeit gehen, um relevant zu bleiben. 



Risiko in der Kunst? Da fällt uns direkt Banksy ein.

Der Hype um Banksy reißt nicht ab. Was macht den Street-Art-Künstler so besonders? 
"Ich glaube er ist wirklich ein Phänomen, weil er spielt mit dem Erscheinen und Verschwinden. Also Banksy ist zunächst mal ein Künstler, der sich als Street-Art-Künstler natürlich an ein anderes Publikum wendet als an elitäre Sammler, sondern im Grunde an jedermann. [...] Wir rätseln ja bis heute über die Identität von Banksy. Er kommt mir immer ein bisschen so vor wie so eine Figur aus einem Superhelden-Comic. Also er greift ins Geschehen ein und verschwindet dann gleich wieder. [...] Und das ist was, was natürlich sein Erfolgsrezept ist. In einer Zeit, in der wir alle über die sozialen Medien und die ganze Berichterstattung versuchen, unsere Persönlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen und zu stilisieren, ist er jemand, der seine Persönlichkeit total aus dem Spiel nimmt." - Oliver Kase

Auch andere Künstler*innen gehen auf ganz eigene Weisen Risiken oder schlagen neue Wege ein. Teilweise werden hier auch die Grenzen ausgetestet - was ist Kunst und wie weit darf die Kunst eigentlich gehen? Was darf die Kunst?
"Prinzipiell würd ich sagen, die Freiheit der Kunst ist nicht umsonst im Grundgesetz verankert. Das ist ein ganz wichtiges Statement für eine demokratische Gesellschaft - das die Kunst frei ist. Und wenn die Kunst Gesellschaft spiegeln, reflektieren, kritisieren, kommentieren möchte, dann muss sie auch frei sein und darf alle Möglichkeiten haben. Und das würde ich auch immer versuchen zu verteidigen."- Oliver Kase

Problematisch wird es laut Oliver allerdings dann, wenn Kunst und Künstler*innen durch zum Beispiel Politik instrumentalisiert werden. Hier muss man vorsichtig sein, gerade wenn es darum geht, Kunst auszustellen oder zu kommentieren. 



Aus Kunst mach Geld

Nach der Finanzkrise 2008 investierten Broker*innen plötzlich vermehrt in die Kunst als Wertanlage. Allerdings war Kunst als Spekulationsobjekt schon immer ein Thema, meint Oliver. Bereits während der Renaissance kauften Banker Kunstwerke und beauftragten Künstler*innen. Die Spekulation mit Kunstwerken hat trotzdem eine negative Seite: Verkaufte Werke werden schließlich auch der Öffentlichkeit entzogen und können im Privatbesitz nicht mehr besichtigt werden und gerade bei Auktionen, bei denen beispielsweise Bilder mit Millionenbeträgen über den Ladentisch wandern, haben Museen kaum eine Chance, selbst neue Werke zu erwerben. Allerdings gibt es auch viele Käufer*innen, die mit diesen Werken dann ein eigenes privates Museum eröffnen.
"Die Erfahrung in den Museen ist, dass man sehr, sehr schnell unterscheiden kann, ob ein Sammler Kunstwerke nur als Spekulationsobjekt oder aus einem ernsthaften Sammlungsinteresse erwirbt. Und die Kunstwerke, die nur als Spekulationsobjekt gekauft werden, die werden auch genauso schnell wieder verkauft oder landen in irgendwelchen Zollfrei-Lagern. Und das ist was, was heiß läuft auf dem Markt und auch wieder kalt wird irgendwann - meistens schneller, als man denkt. Aber das ist nicht das, woran wir Interesse haben, sondern mittel- und langfristig ist es einfach so, dass die wichtigsten Bestände doch in den Museen landen, den Museen angeboten werden, weil es einfach darum geht, über Generationen hinweg die interessantesten Kunstwerke zu bewahren, zu erhalten und zu zeigen."- Oliver Kase

Als Kurator ist für Oliver der Marktwert eines Objektes generell weniger spannend. Stattdessen geht es darum, wie interessant ein Werk ist. Auch wenn es darum geht, beispielsweise neue Künstler*innen auszustellen. Womöglich beeinflusst so etwas den Wert der Werke auf dem Kunstmarkt - dass ist aber keinesfalls das Ziel von Museen, sondern einfach ein Nebeneffekt, der sich nicht vermeiden lässt.




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