"My name is Alla"

"My name is Alla"

"Every Ukrainian now has a tragic story" - Tagebücher aus der Ukraine

Von  Alla
In der Kolumne #TagebücherAusDerUkraine erzählt die Ukrainerin Alla von ihren persönlichen Erlebnissen und Ansichten - und gibt Tipps, wie Freiwillige am besten helfen können.



Wer ist Alla?

Alla, 18 Jahre alt, hat zuletzt in Kyjiw gelebt, wo sie Sportwissenschaften studiert und in einem Café als Barista gearbeitet hat. Bis vor ein paar Monaten führte Alla also ein recht gewöhnliches Studileben. Bis die Bomben fielen - und nur noch die Flucht im Vordergrund stand.
Mit ihrer Freundin Vlad (einer Wirtschaftsstudentin) und dessen Mutter Oxana (einer Tanzlehrerin) stiegen sie schnell ins Auto. Für großes Gepäck gab es a) keinen Platz und b) einfach keine Zeit. Was Alla also aus ihrem Leben in Kyjiw mitgenommen hat? Die Klamotten, die sie am Körper trug, und ihr Handy. 

Vier Tage lang waren sie zu dritt im Auto unterwegs. Zwei Wochen lang dann ohne richtiges Obdach. Immer wieder mussten sie ihre Unterkunft wechseln. Hier ein paar Tage, anschließend dort. "Es war sehr erschöpfend", erzählt Alla. Jetzt lebt sie zusammen mit Vlad und Oxana in Kempten. Dort können die drei auch erstmal bleiben. Die Familie hat einen Hund - das gefällt Alla sehr. Sie mag Hunde. Und das Haus, denn immerhin habe es keine Bombenlöcher, wie sie sagt. 

Ihre eigene Familie lebt größtenteils noch in ihrer Heimatstadt - im russisch besetzten Cherson. Die Häuser, die sie aus ihrer Kindheit kennt, haben mittlerweile alle Löcher von Bomben - wenn sie nicht schon ein kompletter Haufen Schutt sind. Die Lage für ihre Familie ist sehr kritisch. Allas Großmutter und ihr Stiefvater befinden sich immer noch mitten im Gefecht. "Everyday they fight", sagt Alla.

Vor einiger Zeit mussten Alla, Vlad und Oxana in ihre Heimat temporär zurückkehren. Sie wollten es nicht. Sie mussten. Es gab einen Todesfall. Dort zu sein... sei unbeschreiblich. Der Stress, die Angst, die Trauer der Menschen liegt schwer über der Stadt. "It's hard for your heart", beschreibt Alla die Situation. Das Sprechen darüber ist nicht einfach - natürlich nicht.

In Deutschland kümmert sich Alla so gut es geht um ihr Heimatland. Sie klärt Leute auf, organisiert Proteste, um daran zu erinnern, was immer noch - nun seit über 100 Tagen - in Ukraine passiert und bittet so um Hilfe. Die Gefühle dort sind überwältigend - andere Ukrainer*innen zu treffen und gemeinsam für die eine Sache zu kämpfen.

Wenn der Krieg vorbei ist und Alla endlich wieder nach Ukraine zurückkehren kann, will sie übrigens ihr eigenes Café eröffnen. Das ist ihr Traum. Frieden und Kaffee.

Alla gibt uns Einblick in ihr Leben und ihre Gedanken

Das wichtigste für die Studentin ist Aufklärung, deswegen schreibt Alla dieses Tagebuch. Das erste Kapitel kannst du hier unten lesen - entweder in Englisch oder auf Deutsch.




Every Ukrainian now has a tragic story

The story of having to leave home, losing it forever. The story of losing a child, mother, father, grandfather, grandmother or the entire family. The story of seeing the deaths of many people with their own eyes. The story of picking up a machine gun for the first time - and to kill.

My name is Alla

And this is my story

My grandmother is still in the village. Without light - that has been absent since the beginning of the war. She has to draw fresh water from the well. When I talk to her on the phone, I hear explosions. Very loud and very close. My grandmother is a representative of her village and provides humanitarian aid. Meanwhile, people like her - representatives - are being captured in our region. My mother, who has health problems, is also there, in Ukraine. Before the war, she had actually planned an operation. She constantly needs medication, but the treatment has been suspended.

Near my grandmother and mother is the house of my former history teacher. Two bombs landed in her garden. But she really didn't want to leave until the end. But to live in a house without windows became impossible.

I first came to Germany with my girlfriend.

Her father was the oldest military pilot in Ukraine, a lieutenant colonel. Most of the Ukrainian pilots were his students. One day we were informed of his death. We returned to Ukraine for his funeral. It was the funeral of the Hero of Ukraine, the most tragic thing I have ever seen in my life.

My heart breaks every day.

I don't want anyone to go through what my family and I are going through right now. But this is our reality in the 21st century: All Ukrainians are suffering every minute since the morning of February 24th.

I ask everyone in this world for help.

The war on the territory of Ukraine is a problem of the whole modern world. Ukrainians are now defending their country and therefore Europe - by giving their own lives. Ukrainians are grateful for all the help they received from the European Union. President Volodymyr Zelenskyy repeatedly expresses this gratitude on behalf of the entire nation. But this help and solidarity must not stop - the war is not over. We need to tell more, go to rallies, help volunteers.

Our greatest fear is the silence of the world and the silent continuation of the war. Don't forget us and don't close your eyes because you think that individuals have no influence anyway. The word of one person can be of great importance when repeated by all the people of the land. This is the philosophy with which the Ukrainians fight for their homeland to the end.

The price of your everyday life

Many companies have not refused to cooperate with Russia. Some resume cooperation. By buying their products, you yourself are contributing to the production of Russian weapons. That's why the boycott of these companies is important. A list of these companies can be found on the Internet, they are constantly updated.

Your protest is important!

If the citizens' protest is loud enough, their leaders will also hear them. It will be a reminder to them that action must be taken. So don't sit at home and ignore the demos and rallies. Your presence is an important sign of solidarity!
Therefore, continue to be alert to whether rallies or protests are taking place. If you don't attend, the number of participants who draw attention to the problem will generally decrease.

These are the little things that every person can do in everyday life. We can influence the course of the war. If we don't forget it.



How you can still help Ukrainians

Ukrainians are not very familiar with German laws, which is why they have quite a bit of stress. If you agree to accompany Ukrainians on administrative procedures or help them see through German bureaucracy, you can do a great job.

Apart from that, I have found websites with good information and help options that you can share with Ukrainians or volunteers:
  • Germany4Ukraine: There is a lot of useful information for helpers and Ukrainians
  • Host4Ukraine: If you want to offer housing to Ukrainians, you can place an ad here
  • #UnterkunftUkraine: Another page for volunteers for financial support and housing
  • Ukrainian Code: Financial aid for Ukraine
  • Krisenchat Ukraine: A free psychological support service for children and young people. Please share!
  • Telekom: Gives out free SIM cards to Ukrainians
  • My name is Alla
    Diary from Ukraine #01

Jede*r Ukrainer*in hat nun eine tragische Geschichte

Die Geschichte, das Zuhause verlassen zu müssen, es für immer zu verlieren. Die Geschichte, ein Kind, eine Mutter, einen Vater, einen Großvater, eine Großmutter oder die ganze Familie zu verlieren. Die Geschichte, mit eigenen Augen den Tod vieler Menschen zu sehen. Die Geschichte, zum ersten Mal ein Maschinengewehr in die Hand zu nehmen - und zu töten.

Mein Name ist Alla

Und das ist meine Geschichte

Meine Großmutter befindet sich noch im Dorf. Ohne Licht, das ist schon seit Beginn des Krieges ausgefallen. Frisches Wasser muss sie aus dem Brunnen schöpfen. Wenn ich mit ihr telefoniere, höre ich Explosionen. Sehr laut und sehr nah. Meine Großmutter ist Stellvertreterin ihres Dorfes und leistet humanitäre Hilfe. Inzwischen werden Personen wie sie in unserer Region gefangen genommen. Meine Mutter, die gesundheitliche Probleme hat, ist auch noch dort, in der Ukraine. Vor dem Krieg hatte sie eigentlich eine Operation geplant. Sie braucht ständig Medikamente, aber die Behandlung wurde ausgesetzt.

In der Nähe meiner Großmutter und Mutter befindet sich das Haus meiner ehemaligen Geschichtslehrerin. Zwei Bomben landeten in ihrem Garten. Gehen wollte sie bis zuletzt aber eigentlich nicht. Mittlerweile ist das Leben in einem Haus ohne Fenster allerdings unmöglich.

Ich bin mit meiner Freundin zunächst nach Deutschland gekommen.

Ihr Vater war der älteste Militärpilot der Ukraine, Oberstleutnant - die meisten ukrainischen Pilot*innen waren seine Schüler*innen. Eines Tages wurden wir über seinen Tod informiert. Für seine Beerdigung kehrten wir zurück in die Ukraine. Diese Beerdigung eines "Helden der Ukraine" (Anm. d. Red.: "Held der Ukraine" ist die höchste Auszeichnung, die vom ukrainischen Staat verliehen werden kann) war das Tragischste, was ich je in meinem Leben gesehen habe.

Mein Herz bricht jeden Tag.

Ich will nicht, dass irgendjemand das durchmachen muss, was meine Familie und ich gerade durchmachen. Doch das ist unsere Realität im 21. Jahrhundert: Alle Ukrainer*innen leiden jede Minute seit dem Morgen des 24. Februar. 

Ich bitte alle Menschen dieser Welt um Hilfe. 

Der russische Angriffskrieg auf ukrainischem Terrain ist ein Problem der ganzen modernen Welt. Ukrainer*innen verteidigen jetzt ihr Land und damit auch Europa - indem sie ihr eigenes Leben geben. Die Ukrainer*innen sind dankbar für all die Hilfe, die sie von der Europäischen Union erhalten haben. Präsident Wolodymyr Selenskyj bringt diese Dankbarkeit im Namen der ganzen Nation immer wieder zum Ausdruck. Doch diese Hilfe und Solidarität darf noch nicht aufhören - der Krieg ist nicht vorbei. Wir müssen mehr erzählen, zu Kundgebungen gehen, Freiwilligen helfen.

Unsere größte Angst ist das Schweigen der Welt und das Fortsetzen des Krieges im Stillen. Vergiss uns nicht und schließ nicht deine Augen, weil du denkst, dass einzelne Personen eh keinen Einfluss haben. Das Wort einer einzigen Person kann von großer Bedeutung sein, wenn es von allen Menschen des Landes wiederholt wird. Das ist die Philosophie, mit der die Ukrainer*innen bis zum Ende für ihre Heimat kämpfen. 

Der Preis deines Alltags

Viele Unternehmen haben die Zusammenarbeit mit Russland nicht abgebrochen. Einige nehmen die Zusammenarbeit bereits wieder auf. Durch den Kauf ihrer Produkte trägst du selbst zur Produktion russischer Waffen bei. Deswegen ist der Boykott dieser Firmen wichtig - eine Liste dazu findet sich im Internet, sie wird ständig aktualisiert.

Dein Protest ist wichtig!

Ist der Protest der Bürger*innen laut genug, werden sie auch von ihren Anführer*innen gehört. So werden sie kontinuierlich daran erinnert, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen. Also sitz nicht zu Hause rum und ignorier dabei die Demos und Kundgebungen. Deine Anwesenheit ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität!
Sei deswegen weiterhin aufmerksam, ob Kundgebungen oder Proteste stattfinden. Wenn du nicht hingehst, wird die Anzahl der Teilnehmenden, die auf das Problem aufmerksam machen, generell immer geringer.

Dies sind die kleinen Dinge, die jeder Mensch im Alltag tun kann.
 Wir können den Kriegsverlauf beeinflussen. Wenn wir ihn nicht vergessen.



Wie du Ukrainer*innen noch helfen kannst

Ukrainer*innen kennen sich mit den deutschen Gesetzen nicht so gut aus, weswegen sie damit ziemlich viel Stress haben. Wenn du dich bereit erklärst, Ukrainer*innen auf Behördengänge zu begleiten oder hilfst, in der deutschen Bürokratie durchzublicken, kannst du einen tollen Job leisten.

Ansonsten habe ich Webseiten mit guten Informationen und Hilfsmöglichkeiten zusammengesucht, die du mit Ukrainer*innen oder freiwilligen Helfer*innen teilen kannst:

  • Germany4Ukraine: Hier gibt es sehr viele nützliche Informationen für Helfende sowie Ukrainer*innen
  • Host4Ukraine: Wenn du Ukrainer*innen Wohnraum anbieten möchtest, kannst du hier eine Anzeige aufgeben
  • #UnterkunftUkraine: Eine weitere Seite für Freiwillige für finanzielle Unterstützung und Unterkünfte
  • Ukrainian Code: Finanzhilfe für Ukraine
  • Krisenchat Ukraine: Ein kostenloser psychologischer Hilfsdienst für Kinder und Jugendliche. Bitte teilen!
  • Telekom: Gibt kostenlose SIM-Karten für Ukrainer*innen aus

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