Wohnen für Hilfe

Wohnen für Hilfe

Die Wohnpartnerschaft zwischen Jung und Alt

Junge Menschen dürfen bei Senior*innen mit zu viel Wohnfläche wohnen. Die Bezahlung? Hilfe im Alltag.

Wohnungsnot trotz freier Flächen

In großen Städten ist der Platz begrenzt. Für junge Menschen, die gerade einen Studien- oder Ausbildungsplatz gefunden haben, wird es immer schwieriger irgendwie bezahlbaren Wohnraum zu finden. Im Gegensatz dazu gibt es viele ältere Menschen, die allein in einer großen Wohnung oder gar einem Haus wohnen und weder wissen, was sie mit diesem unnötigen Platz anfangen sollen, noch wie lange sie überhaupt noch ohne Hilfe und Unterstützung darin wohnen können. Wir haben mit Brigitte Tauer gesprochen, die schon jahrelang Mitarbeiterin bei Wohnen für Hilfe ist.

So geht Wohnen für Hilfe:

Das Projekt hat schon vor mehr als 20 Jahren dieses Problem in Angriff genommen und schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Bei Wohnen für Hilfe werden Wohnpartnerschaften zwischen jungen und alten Menschen vermittelt. Das Konzept ist simpel: Senior*innen bieten eine freie Wohnfläche an, die Studierende/Auszubildende kostenlos beziehen dürfen. Im Gegenzug helfen sie den Senior*innen bei alltäglichen Tätigkeiten, die alleine nicht mehr bewältigt werden können.

Die Formel? Ein Quadratmeter Wohnfläche entspricht einer Stunde Hilfeleistung im Monat.



Brigitte Tauer von Wohnen für Hilfe vermittelt die Wohnpartnerschaften. Welche schönen Freundschaften dabei schon entstanden sind, hat sie uns im Interview erzählt:
  • Brigitte Tauer von "Wohnen für Hilfe"
    Das Interview zum Nachhören


Großer Wohnraum für sich allein

Brigitte Tauer sagt, die Senior*innen, die sich bei ihnen melden, seien meist verwitwet, hätten jedoch schon noch Familie und Kinder, die aber weit weg wohnen oder selbst Familie hätten und sich deshalb einfach nicht die Zeit nehmen könnten. Zwar seien die Senior*innen theoretisch noch in der Lage, alleine zu wohnen, doch bei schwierigeren, alltäglichen Aufgaben - wie eine Glühbirne wechseln oder im Winter Schnee schippen - bräuchten sie eben doch Unterstützung.

Rücksicht auf beiden Seiten

Im Grunde kann sich jeder Wohnungssuchende bei Wohnen für Hilfe anmelden und wird nach einem persönlichen Gespräch in die Kartei aufgenommen. Doch wie bei den Senior*innen ist auch nicht jeder junge Mensch für dieses Konzept geeignet:
"Man muss sich überlegen, ob man bereit dazu ist, gewisse Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Natürlich muss man mehr Rücksicht nehmen, wenn man mit einem älteren Menschen zwischen 60 und 100 Jahren zusammen wohnt, als mit Gleichaltrigen oder allein. Viele Besuche, viele Parties und laute Musik sind einfach ein bisschen schwieriger." – Brigitte Tauer von Wohnen für Hilfe

Schnee schippen, Laub rechen und Gesellschaft

Neben alltäglichen Aufgaben, die die jungen Menschen übernehmen, fühlen sich viele ältere Menschen auch einfach wohl, wenn sie wissen, dass sie nicht völlig allein in einem riesigen Haus sind.
"Meist sind es nur niederschwellige Arbeiten, wie die Gartenhilfe, Laub rechen, beim Wohnungsputz behilflich sein, sich um die Haustiere kümmern oder sogar nur gemeinsam frühstücken. Ganz vielen geht es darum, dass sie wissen: Es ist jemand im Haus. Es ist mehr Leben im Haus und es ist jemand da, wenn es mir als älterem Menschen nicht gut geht." – Brigitte Tauer

Das Matching

Überwiegend melden sich offene und extrovertierte Senior*innen bei dem Projekt, um einem jungen Menschen Wohnfläche anzubieten. Wohnen für Hilfe leitet den Senior*innen dann Nummern von den infrage kommenden jungen Menschen weiter. Es wird darauf geachtet, dass sie ähnliche Interessen haben, wie zum Beispiel ein*e Biochemie-Student*in und ein*e ehemalige*r Biologieprofessor*in. Bei dem Treffen selbst ist Brigitte Tauer nicht dabei, denn das überlässt sie den "Matches" selbst.

Veto-Recht

Wenn sich beide gut verstehen und zusammenziehen, gibt es immer noch eine unverbindliche vierwöchige Probezeit, bei dem ein Veto eingelegt werden könnte, wenn es doch nicht passt.

Aus Wohnen wird Freundschaft

Aber wenn es passt, können sehr schöne Begegnungen daraus werden - daraus entstandene Freundschaften währen sogar oft länger als die Wohnpartnerschaft selbst.
"Wir hatten ein Ehepaar, die insgesamt vier Studierende aus unserer Vermittlung nacheinander bei sich wohnen hatten. Und sobald eine*r davon wieder in München ist, wird sich sofort zum Kaffee getroffen. Es ist schön zu sehen, dass dort Freundschaften geschlossen werden, die ewig lange halten" - Brigitte Tauer

Wer jetzt denkt, dass dieses Konzept genau das Richtige für einen selbst oder auch für Freunde oder Bekannte ist, kann sich über diese Webseite melden.

Altersunterschied von 75 Jahren

Ihr ältester Vermittlungspartner wird übrigens im Dezember 100 Jahre alt, sagt Brigitte Tauer. Vor drei Jahren kam er auf sie zu, weil er im Krankenhaus vom dortigen Sozialdienst auf dieses Wohnkonzept aufmerksam gemacht wurde. Er sagte, er hätte eine Fünfzimmerwohnung - vielleicht wäre das ja was für ihn, wenn er einen jungen Menschen bei sich aufnähme und diesen damit unterstütze. Inzwischen habe er zwei Studentinnen bei sich wohnen, mit denen er sich großartig verstehe.
 "Ich finde das großartig, auch von den älteren Menschen, die so mutig sind und das noch machen. Dass ein Altersunterschied von 75 Jahren besteht und das einfach so gut klappt." – Brigitte Tauer

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