In einem beeindruckend schönen Dokumentarfilm von Marie Amiguet machen sich ein Fotograf und ein Schriftsteller auf die Suche nach einem ausgestorben geglaubten Tier.
Worum es in Der Schneeleopard geht
Bereits innerhalb der ersten paar Einstellungen, die Der Schneeleopard seinen Zuschauer*innen zeigt, vermag der Film für Gänsehaut zu sorgen. Ganz beiläufig wird da von zwei Tibetern über einen möglichen Angriff wilder Wölfe gesprochen, dem die Fremden möglicherweise ausgeliefert sind. Zwar folgen keine blutrünstige Aufnahmen von Fangzähnen frei lebender Raubtiere, dennoch ist man der Schönheit der Natur in den folgenden anderthalb Stunden hoffnungslos ausgeliefert. Damit dokumentiert die Filmemacherin Marie Amiguet hervorragend die Gefühle, die sie sowie ihre Begleiter Vincent Munier und Sylvain Tesson auf ihrer Reise nach Tibet empfunden haben müssen.
Denn die drei möchten unbedingt einen Schneeleoparden zu Gesicht bekommen. Doch die Suche nach der seltenen, sogar für ausgestorben gehaltenen Tierart geraten alle Beteiligten schnell an ihre Grenzen. Vor allem die charakterlichen Unterschiede sorgen zunächst für Schwierigkeiten. Der Schriftsteller Sylvain Tesson sehnt sich danach, all seine Empfindungen in Worte zu fassen, während der Wildlife-Fotograf Vincent Munier die unberührte, durchdringende Stille der Natur zelebriert, in der selbst das Aufsetzen eines Gehstocks bereits ohrenbetäubend laut sein kann. Doch die gemeinsam verbrachte Zeit in der extremen Kälte schweißt die beiden zusammen.
Fabian über: Der Schneeleopard
egoFM Trailer
So ist Der Schneeleopard
In Der Schneeleopard begegnet man vielen beeindruckenden Tieren, etwa den Yaks, die wie mystische, aus der Zeit gefallene Wesen wirken. Häufig jedoch offenbart sich das Leben erst auf den zweiten Blick in den zerklüfteten Landschaften Tibets, eingefangen in atemberaubend schöne Bilder von Marie Amiguet. Auf diese Weise schärft sich automatisch der Blick, als läge man neben Vincent und Sylvain auf der Lauer, bibbernd und durchgefroren, aber glücklich über die nächste Sichtung eines Tieres, das womöglich nie zuvor einem Menschen begegnet ist.
Dass Der Schneeleopard nicht zu den gewöhnlichen Dokumentarfilmen gehört, beweist seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes, einem Festival, das für gewöhnlich seinen Fokus auf Spielfilme legt. Behutsam und poetisch erzählt das Trio aus Regisseurin und Protagonisten von ihrer gemeinsamen Reise, wodurch ihnen eine philosophische Betrachtung auf die Schönheit der Natur gelingt. Ein echter Glücksfall ist obendrein die Verpflichtung von den Musikern Nick Cave und Warren Ellis für den Soundtrack. Ihnen gelingt ein wundervoller Score, der sich, stets auf Augenhöhe mit der erhabenen Schönheit der gezeigten Landschaft, perfekt einfügt und auf dem Cave sich bei den Vokalstücken von Tessons Texten inspirieren lässt.
Sicherlich gefällt die langsame, fast schon meditative Erzählung nicht allen, doch mit diesem Anspruch gehen Amiguet und Munier auch gar nicht an ihre Dokumentation heran. Allerdings stand Tessons Buch, in dem er über die Tibet-Reise berichtet, monatelang auf der Bestsellerliste, was hoffen lässt, denn Der Schneeleopard hat es absolut verdient, dass man ihn anschaut – schon alleine deswegen, um den eigenen Blick auf die Umwelt zu schärfen.
Dafür gibt es hochverdiente 8 von 10 tibetanischen Winter.
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