Die Arctic Monkeys haben ein neues Album veröffentlicht und irgendwie weiß keiner so recht damit umzugehen.
Weißt du noch, wie du dich munter von deinem besten Freund oder besten Freundin vor den Sommerferien verabschiedet hast und trotz grenzenloser Freiheit in den Ferien den ersten Schultag kaum erwarten konntest? Dann hatte der oder die bf plötzlich einen neuen Haarschnitt, neue Klamotten, neue Lieblingsbands und war überhaupt zehnmal cooler als du - weswegen sie oder er dir alsbald den Rücken kehrte und fortan am Tisch der coolen Kids sitzen durfte.
Schwere Zeiten. Scheiß Zeiten. Aber sowas passiert - sogar jetzt noch, über zehn Jahre später, wo die Aknenarben verheilt sind, der teenagerhafte Schweißgeruch mit Deo bekämpft und der eigene Stil gefunden wurde, dass man nicht mehr aussieht wie eine verängstigte Currywurst im Deckmantel und sich nun endlich wohl in der eigenen Haut fühlen kann. Ja, sogar jetzt noch passiert es, dass sich deine ältesten Freunde plötzlich um 180 Grad ändern und cooler als alle anderen fühlen. Es ist jetzt nicht schwer, den gemeinten Übeltäter in einem Artikel über die Arctic Monkeys ausfindig zu machen.
Die haben nun nämlich ihr sechstes Album veröffentlicht und treffen damit sowas von ins Kontroverse. Liebe und Hass - seit der Fusion von Gummibärchen und Lakritz waren die beiden Elemente nicht mehr derart im Zwist, wie sie es in Bezug auf Tranquility Base Hotel & Casino sind. Besonders schwer ist dabei aller Anfang - denn der Arctic Monkeys Fan, der seit der ersten Andeutung auf ein neues Album auf eine erste Singleauskopplung vorab fieberte, wurde bitter enttäuscht und ins kalte Wasser geschmissen: Nichts gab es vorab! Keine Single! Nur wahllose Andeutungen, dass es sich bei dieser Platte eben um etwas nie zuvor gehörtes handelt. Zumindest etwas nie zuvor von den Arctic Monkeys gehörtes. Da kann man es schon nachvollziehen, dass die Enttäuschung beim Reinschmeißen von Tranquility Base Hotel & Casino erstmal groß war.
"Remember when you used to be a rascal?" - Jetzt trinkst du Rotwein im Morgenmantel!
Tatsächlich fällt es denjenigen, die mit den Arctic Monkeys groß geworden und Hymnen wie "When The Sun Goes Down" und "I Bet You Look Good On The Dancefloor" in den Indie-Clubs dieser Welt die Nächte bis zum Morgen durch gegrölt haben, wirklich schwer, Tranquility Base Hotel & Casino als ein wahres Arctic Monkeys Werk abzufeiern.
Eigentlich sollte das Album ja auch ein Alex Turner Soloalbum mit viel schmachtendem Gesang, Crooning und Piano werden - nun ist es eben das sechste Studioalbum der Arctic Monkeys. Dementsprechend bedingt klingt es auch nur nach den Arctic Monkeys - zumindest absolut nicht nach denen, die wir mit den ersten beiden Alben und Alternative-Rock-Manifesten Whatever People Say I Am, That's What I'm Not (2006) und Favourite Worst Nightmare (2007) kennen gelernt haben.
Zum Schreien in abgewetzten Jeansjacken eignet sich Tranquility Base Hotel & Casino nicht. Stattdessen erinnert das Werk anfangs eher an die Dudelmusik, die stets im Kaufmodus bei den Sims zu hören war. Während der Aufnahmen haben die Bandmitglieder übrigens untereinander munter die Instrumente getauscht. Bass spielt Gitarre, Schlagzeug mal Keyboard. Wenn man das weiß, meint man's sogar hören zu können - gerade "Star Treatment" klingt sehr schleppend und unkoordiniert.
Doch das Schlimmste: Alex Turner klingt wie eine Parodie. Zum Beispiel bei "One Point Perspective" - so reden doch nicht mal Poetry-Slammer. Leider klingt auch der Titel "The World's First Ever Monster Truck Front Flip" viel spannender, als der Song letztendlich ist.
"She Looks Like Fun" hingegen klingt durchaus nach ein bisschen Fun mit ein bisschen Iggy Pop-artigem-Stimmelement... Halt, Stop! Moment! Da war doch sogar was: Matt Helders, der Schlagzeuger der Arctic Monkeys, arbeitete 2016 tatsächlich gemeinsam mit Josh Homme an Iggy Pops Album Post Punk Depression - vielleicht war die Zusammenarbeit ja so super, dass Iggy doch glatt angeboten hat, das kratzige "She Looks Like Fun" in "She Looks Like Fun" einzusingen. Doch das wäre jetzt nur eine Vermutung.
Auch "Tranquility Base Hotel & Casino" überrascht in diesem Werk irre. Wie singt der Alex Turner denn da schon wieder! Aber es gefällt. Das Persiflierende legt er ab, klingt lediglich (gelinde gesagt) dreißig Jahre älter. Piano, Orgelklänge und Synthesizer funktionieren fantastisch miteinander. "Golden Trunks" erinnert dann doch auch wieder an die Arctic Monkeys von vor fünf Jahren. Sehr leidenschaftlich, aber irgendwie dann auch wieder versöhnlich mit dem ersten Schock gegenüber dem arg ungewohnten Klang. Genauso wie die erste Single-Auskopplung "Four Out Of Five" - da kommt dann doch das Düstere heraus, das wir auf AM kennenlernen durften. Das Video wurde übrigens teilweise im Münchner U-Bahntunnel vom Marienplatz gedreht und wirkt ganz so, als hätte Stan Kubrick nochmal kurz unter uns verweilt, um nicht nur mit Ästhetik, sondern auch seiner Zoom-Spezialität das Video zu "Four Out Of Five" zu verfeinern.
Versöhnung schafft auch "Batphone", dessen vereinzelte Klangdetails zart an dem Soundtrack aus Super Marios Geisterhäusern erinnert. Entweder Alex Turners neuer Gesangsstil geht dabei etwas unter oder aber wirkt bei diesem Track tatsächlich total natürlich. Vielleicht war man ja doch zu voreilig mit all den negativen Gefühlen gegenüber Tranquility Base Hotel & Casino. Denn auch der letzte Song des Albums, "The Ultracheese", klingt wundervoll schunkelbar und schwärmerisch, dass man sich letztlich doch mit dem Rotweinglas aus dem Ohrensessel vorm Kaminfeuer begibt und walzend über den ausgestopften Eisbären am Boden tänzelt. Ultra cheezy halt.
Unglaubwürdig darüber, wie gut Tranquility Base Hotel & Casino letztlich dann doch mundet, kann man einfach nicht anders, als sich das Ganze noch mal von Anfang an zu geben. Und sehet da: Es gefällt. Es gefällt immer besser. Was wir daraus lernen:
Wenn ein alter Freund eine neue Frisur hat, ist er unten drunter immer noch derselbe. Es braucht nur Zeit, sich daran zu gewöhnen.
Und vielleicht ist der alte Freund ja nur deswegen ein Arsch zu dir, weil du dich wie ein Arsch verhältst, weil du nicht mit der Veränderung klar kommst. Oder so. In jedem Fall wirken alle Kontrapunkte an Tranquility Base Hotel & Casino im Endeffekt nichtig und unnötig gemein.
Tracklist: Arctic Monkeys - Tranquility Base Hotel & Casino
01. Star Treatment02. One Point Perspective
03. American Sports
04. Tranquility Base Hotel & Casino
05. Golden Trunks
06. Four Out of Five
07. The World’s First Ever Monster Truck Front Flip
08. Science Fiction
09. She Looks Like Fun
10. Batphone
11. The Ultracheese
Tranquility Base Hotel & Casino von den Arctic Monkeys wurde am 11. Mai 2018 via Domino Records (Goodtogo) veröffentlicht.
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