Messy

Messy

Olivia Dean ist, wie sie selbst sagt, eine „extreme Perfektionistin“. Doch eines Tages, als sie ihr Debütalbum aufnahm, ertappte sich die Londoner Singer-Songwriterin dabei, wie sie immer wieder das Wort „messy“ („chaotisch“) murmelte, während sie auf ihrer Gitarre spielte – und entdeckte etwas Leichtes in sich selbst. „Mir gefiel die Vorstellung, das negative Wort ‚chaotisch‘ in etwas Schönes umzukehren“, sagt sie gegenüber Apple Music. „Das habe ich bei der Fertigstellung des Albums angewandt, und es war wie: ‚Wir lassen mein Lachen da drin‘ oder ‚Das Klavier muss bei diesem Teil nicht genau im Takt sein‘. Ich glaube, in einer Zeit, in der jeder vorgibt, dass sein Leben fantastisch ist, ist es wirklich erfrischend, zu sagen: ‚Mein Leben ist ein Chaos. Und dein Leben ist wahrscheinlich auch ein Chaos.‘ Aber das ist in Ordnung: Das ist die Würze des Lebens.“   Das passenderweise „Messy“ betitelte Album ist ein grossartiges Debüt – der „chaotische Ansatz“ verleiht ihm ein warmes, unmittelbares Flair, das beim Zuhören das Gefühl vermittelt, mittendrin zu sein. Das Album vereint die gefühlvolle, jazzgeprägte, altmodische Songwriting-Kunst und den für Sommertage geeigneten Pop, mit denen Dean sich einen Namen gemacht hat. „Im Studio sagte ich: ‚Kannst du das so machen, als hättest du gerade den besten Tag deines Lebens gehabt, aber plötzlich geht die Sonne unter?‘“, erzählt sie. Es gibt monumentale, von Streichern getragene Balladen („No Man“), locker instrumentierte Stücke (z. B. „Ladies Room“ und „Getting There“) und intime Geständnisse über ihre psychische Gesundheit („Everybody’s Crazy“) oder darüber, wie ein Ex ohne sie aufblüht („Dangerously Easy“). Das alles wird von Deans mühelosem Gesang getragen. Das Album präsentiert sich als eine unwiderstehliche Folge von Momentaufnahmen, die überall spielen: in der Damentoilette in einem Pub, in ihrem imaginären Blumenladen in Südlondon („I Could Be A Florist“), in ihrem Zuhause, wo sie mit dem exquisiten „Carmen“ eine jubelnde Hommage an ihre Grossmutter singt, die als Teil der Windrush-Generation nach Grossbritannien kam. Hier gewährt Dean uns einen Einblick in „Messy“, Stück für Stück.   „UFO“ Ich fand, das war der perfekte Opener, weil es ein bisschen ist wie: „Hallo zusammen. Ihr werdet gleich auf eine Reise mit diesem schüchternen Ausserirdischen gehen, der versucht, einen Platz zum Landen zu finden. Kommt mit.“ Das war einer der ersten Songs, die wir für das Album geschrieben haben – es begann, wie viele unserer Songs, als Scherz. [Produzent] Matt [Hales] und ich sassen bei einer Tasse Tee und ich sagte: „Das ist irgendwie ein sexy Problem.“ Er fand das urkomisch. Wir gingen zurück ins Studio und ich sprach über Nick Drake und wie sehr mir der Gitarrenstil seiner Lieder gefällt. Der Song war schnell geschrieben und ich habe ihn mir an diesem Abend zwanzigmal angehört und dachte: „Das ist es.“   „Dive“ Ich liebe das Drama und mein Karaoke-Song ist „I Will Survive“ von Gloria Gaynor. Mir war klar, dass ich [ein Intro wie dieses] auf meinem Album haben wollte. Ich habe es an einem wirklich sonnigen Tag in London geschrieben und darüber erzählt, wie bereit ich war, mich wieder zu verlieben und mich dafür zu öffnen. Wir dachten an Aretha Franklin und Carole King und an all die Akkorde, die sie verwenden, um dein Herz wie auf einer Wolke schweben zu lassen. Für dieses Lied hab ich am längsten gebraucht, um es fertigzustellen – weil ich wusste, dass es gut ist, dass es ein wichtiges Lied sein könnte, dass es etwas Besonderes ist. Es mag unbeschwert klingen, aber es steckt eine Menge Arbeit darin. Ich habe ein Jahr lang daran gearbeitet.   „Ladies Room“ Ich war in meiner Stammkneipe auf der Damentoilette und diese Dame sagte etwas wie: „Mädels, geht nie mit einem Mann aus, der 20 Jahre älter ist als ihr.“ Dann rief er sie an und sie sagte: „Ich will nicht nach Hause gehen, aber ich muss.“ Ich fand, das war ein genialer Anfang für einen Song, weil ich das schon mal erlebt habe. Als ich noch etwas jünger und nicht so unabhängig war wie jetzt, hatte ich, um es offen zu sagen, mehr toxische Beziehungen. Ich wäre nach Hause gegangen, wenn mein Freund gesagt hätte: „Komm mit mir.“ Also musste ich einen Song schreiben, in dem es heisst: „Tu, was immer du tun willst.“ Der Rest wurde von Marvin Gayes „Got to Give It Up“ inspiriert und davon, wie sich dieser Partysound durch den Song zieht.   „No Man“ Ursprünglich hatte der Song eine Menge Instrumente. Er war massiv, mit verrückten Drums, aber ich merkte, dass ich dem, worüber ich sang, nicht gerecht wurde, denn das war ziemlich traurig und verletzlich. Ich wollte, dass es sich wie [James] Bond anfühlt, aber ich habe auch viel von Mac Millers „Circles“ gehört. Ich möchte gar nicht so viel zum Thema sagen – ich denke, die Leute können sich ein Bild davon machen, worum es geht.   „Dangerously Easy“ Hier geht es darum, dass jemand, den du liebst, ohne dich sehr gut zurechtkommt und du dich fragst: „Wie kann das so einfach aussehen? Warum geht es dir so gut ohne mich?“ Aber es ist kein wütender Song – er ist sehr freundschaftlich. Das Stück enthält einige meiner Lieblingszeilen des Albums. Es hat diese Art von Basslinie, die mich an „Redbone“ erinnert, und ich liebe es. Der Song fühlt sich für mich ziemlich oldschool an.   „Getting There (Interlude)“ Das war immer nur am Ende von „Dangerously Easy“, aber ich dachte: „Das hat Potenzial. Das kann ein eigener Song werden.“ Als wir die letzten Teile des Albums einspielten, sagte ich zu der Band [Dean hat die Platte mit ihrer Live-Band aufgenommen]: „Wenn wir zum Ende kommen, legt einfach los.“ Wir haben direkt den ersten Take davon genommen.   „Danger“ Erst dachte ich: „Ich kann nicht zwei Songs auf einem Album haben, in denen ‚Gefahr‘ vorkommt. Das geht nicht.“ Aber dann dachte ich: „Alles geht.“ Ich wollte etwas Spassiges schreiben, weil ich viel traurige Musik geschrieben hatte. Ich hatte diese Vorstellung: „Wenn etwas lustig und einfach ist, kann es nicht gut sein.“ Tatsächlich kann es das aber. Ich betrachte manche Lieder als Tangfastics [eine Tüte Gummibärchen] – sie sind einfach nur bunte Süssigkeiten, die man liebt. Und andere Lieder sind wie tristes Müsli. Du musst es essen, es ist gut für dich, aber es ist nicht das Aufregendste. Ich wollte auf jeden Fall mit Lovers Rock und Bossa Nova spielen, weil ich damit aufgewachsen bin und das viel gehört habe. Ausserdem ist es einfach ein klassischer Olivia Dean-Song: Ich werde mich in dich verlieben, aber nicht ganz.   „The Hardest Part“ Das ist schon älter, musste aber auf das Album, weil ich denke, dass dieser Song sehr prägend für mich war. Er wurde zu einer Zeit geschrieben, als ich sehr traurig war und versuchte, eine Beziehung loszulassen, von der ich dachte, sie sei das Richtige für mich – wie es eben so ist, wenn man jung und verliebt ist. Ich war so überzeugt, aber dann hatte ich diese Erkenntnis: „Du bist nicht gut für mich, ich habe mich so sehr verändert, und du bist nicht in der Lage, die Person zu lieben, zu der ich geworden bin.“ Das zu akzeptieren, ist der schwierigste Teil. Ich bin so stolz auf den Text: „I was only 18/You should’ve known that I was always gonna change.“ („Ich war erst 18 / Du hättest wissen müssen, dass ich mich immer verändern werde.“) Dieses Konzept der Leute, die dir sagen, dass du dich verändert hast, als wäre das etwas Schlechtes. Es ist vielmehr so: „Ja, ich habe mich verändert und das ist fantastisch.“   „I Could Be A Florist“ Ich ging ins Studio und hatte eigentlich vor, „Dive“ fertigzustellen, aber ich hatte einen kleinen existenziellen Moment – ich fühlte, dass ich mich nicht von der Musik abkoppeln konnte. Ich stellte mir vor, wie wunderbar es wäre, Floristin zu sein. Du könntest schöne Sträusse für Leute machen und ihnen eine Freude bereiten, den ganzen Tag Blumen betrachten und dann das Schild „geschlossen“ an die Ladentür hängen. Es ging super schnell – ich liess das Demo so, wie es war. Wenn ich es mir jetzt anhöre, wird mir klar, dass es ein Liebeslied ist, in dem es darum geht, den Menschen Blumen als Metapher für die Liebe zu geben.   „Messy“ Das letzte Stück, das ich für das Album geschrieben habe. Ich hatte diesen Gitarrenpart, den ich immer wieder spielte, und ich sagte einfach immer wieder das Wort „messy“. Ich dachte: „Worum geht es in diesem Song? Was will ich damit sagen?“ Vielleicht ging es um eine chaotische Beziehung, aber dann hatte ich einen dieser Aha-Momente: „Nein, das ist ein Song an mich selbst. Ich schreibe ein Lied, um mir selbst zu sagen, dass ich chaotisch sein darf. Dein Album muss nicht perfekt sein. Es muss so sein, wie du bist.“   „Everybody’s Crazy“ Ich liebe diesen Song, aber er macht mir auch Angst. Ich bin damit wirklich auf dem Präsentierteller. Ich setze mein Herz aufs Spiel. Aber man muss mutig sein. Es ist schön und gut, wenn ich in Songs wie „Ladies Room“ sage: „Ich bin eine unabhängige Frau, ihr könnt mir nicht sagen, was ich zu tun habe“, aber natürlich gehe ich auch manchmal nach Hause und weine ins Kissen. Seien wir mal ehrlich. Für mich ist dieser Song eine warme Umarmung, eine Schüssel Tomatensuppe, aber am Ende ist es, als wärst du auf Pilzen und plötzlich tut sich die Welt auf.   „Carmen“ Von allem, was ich bisher gemacht habe, war dies das, was ich am meisten für mich gemacht habe. Es fühlt sich so spezifisch für mein Leben an. Ich wusste, dass ich meine Grossmutter für immer verewigen wollte, selbst wenn ich nicht mehr bin und meine Urenkel nicht mehr da sind. Das ist es, was Musik für jemanden tun kann. Am Anfang war es etwas sehr Privates. Es ist ein Song über sie, die als Teil der Windrush-Generation von Guyana ins Vereinigte Königreich kam. Sie stieg 1963 in ein Flugzeug und kam mit ihrer kleinen Schwester rüber, was ihr Leben komplett veränderte. Dann bekam sie vier Kinder, die wiederum Kinder bekamen, und eines davon bin ich. Ich wollte, dass es sich wie eine Feier anfühlt, denn damals wie heute gibt es viel Negatives zum Thema Windrush. Ich dachte: „Sie brauchen ein Fest.“ So sehr, wie die Menschen dieser Generation die Queen geliebt haben, brauchen sie diese Liebe zurück, und mit dem Text „Never got a jubilee“ („Ich habe nie eine Jubiläumsfeier bekommen“) wollte ich ihr das geben. Als ich den Song schrieb, stellte ich mir meine Oma auf einem Thron sitzend vor, während die Steel Pans spielen und alle bei ihrem diamantenen Jubiläum eine tolle Zeit haben und Makkaroni mit Käse essen. Ich hab geweint, als der Steel-Pan-Spieler ins Studio kam, weil ich finde, dass es einfach der schönste Sound der Welt ist – für mich ist er eine nostalgische Erinnerung an einen Ort, an dem ich noch nie gewesen bin, aber das auf dem Album zu haben, war so wichtig. Ich bin so stolz auf dieses Lied. Meine Oma weiss, dass es ihn gibt, aber sie hat ihn noch nicht gehört. Ich bin wohl einfach nervös.

Wähle ein Land oder eine Region aus

Afrika, Naher Osten und Indien

Asien/Pazifik

Europa

Lateinamerika und Karibik

USA und Kanada