Daddy's Home

Daddy's Home

Nach dem 2017 erschienenen Album „MASSEDUCTION“ war St. Vincent-Mastermind Annie Clark auf der Suche nach Veränderung. „Bei dem Album ging es sehr um Struktur und Strenge – alles, was ich trug, war sehr eng, sehr kontrolliert, sehr kantig“, erzählt sie Apple Music. „Aber das kann man nur bis zu einem gewissen Punkt durchziehen, bevor man sich dann fragt ,Oh, was ist das da drüben?‘“ Was Clark fand, war eine Lockerheit, die sich aus dem Eintauchen in jenen Sound ergab, mit dem sie aufgewachsen war, „dieser groove-ish, soul-ish, jazz-ish Anfang-der-70er-Stil, den ich schon von klein auf im Kopf hatte“, sagt sie. „Ich wuchs mit Alben von Steely Dan und Stevie Wonder auf, darunter „Innervisions“ [von 1973], „Talking Book“ [1972] und „Fulfillingness‘ First Finale [1974]“. Das ist die Brücke, die ich schlagen wollte. Ich wollte mit älterem Sound neue Geschichten schaffen.“„Daddy’s Home“ wurde mit „MASSEDUCTION“-Produzent Jack Antonoff aufgenommen und zehrt stark vom Sound der 1970er. Der Titel wiederum ist teilweise von den jüngsten Ereignissen in Clarks Privatleben inspiriert: der Entlassung ihres Vaters aus dem Gefängnis im Jahr 2019. Fast ein Jahrzehnt saß er dort wegen Wertpapiermanipulation ein. Es geht sowohl um unsere Fähigkeit zur Weiterentwicklung als auch darum, das Menschliche in unseren Fehlern anzunehmen. „Ich wollte sicherstellen, dass auch jemand, der meine persönliche Autobiografie nicht kennt, etwas hineininterpretieren kann, ob nun Daddy ein Vater oder Daddy im Sinne von Freund oder Daddy im Sinne von Zuhälter ist – ich wollte, dass es mehrdeutig ist“, sagt sie. „Ein Teil des Titels ist wortwörtlich zu nehmen: ,Ja, hier ist er, er ist zu Hause!‘ Ein anderer Teil davon sagt: ,Es ist zehn Jahre später. Ich habe in diesen zehn Jahren einiges getan. Ich habe Verantwortung. Ich mache echt viel … ernsthaftes Zeug. Es spielt damit: Bin ich Daddys Mädchen? Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber mittlerweile bin ich auch Daddy.“ Clark führt uns hier durch einige der Schlüssel-Tracks des Albums.„Pay Your Way in Pain“„Die Figur gehört quasi zum Inventar eines 2021er Psychedelic Blues. Und das ist im Prinzip die Grundstimmung des Blues: eine Art Niedergeschlagenheit in einem Land, in einer Gesellschaft, die zu oft dazu auffordert, zwischen Würde und Überleben zu wählen. Es ist also nur die Geschichte eines wirklich verdammt schlechten Tages. Und das Eingeständnis, dass wirklich jeder auf der Welt, mit seltenen Ausnahmen, einfach nur ein Dach über dem Kopf haben, geliebt werden und durchkommen will. Die Zeile über die Schuhabsätze bringt mich immer zum Lachen. Ich war sie, ich kenne sie. Ich war derjenige, über die die Leute sagen: ,Oje. Haltet den Kindern die Augen zu.‘ Ich kenne sie, ich kenne sie sehr gut.“„Down and Out Downtown“„Das ist vielleicht sogar mein Lieblingssong auf dem Album. Keine Ahnung, wie andere Leute darüber denken werden. Aber wir waren alle mal diese Person, die um acht Uhr morgens im Zug die Stöckelschuhe von gestern Abend trägt und versucht, sich an die Nacht zu erinnern: ,Oh, wo sind wir gewesen? Was habe ich getan?‘ Du bist groggy und versuchst, die wissenden Blicke anderer zu vermeiden – und die Art und Weise, wie du gerade in New York diesen Grad zwischen Sorglosigkeit und Zerstörung entlangbalancieren kannst. Sie ist das; ich war auch schon sie.“„Daddy’s Home“„Die Geschichte handelt tatsächlich von einem meiner letzten Besuche bei meinem Vater im Gefängnis. Wenn etwas über mich in der nationalen Presse stand, legte man ihm die Ausschnitte aufs Bett. Und wenn ich im Fernsehen war, versammelte er sich mit anderen im Gemeinschaftsraum und sie sahen sich meinen Auftritt bei Letterman oder wo auch immer an. Einige der Insassen wussten also, wer ich war, und erwähnten mich vermutlich gegenüber ihren Familienmitgliedern, so ganz genau weiß ich das nicht. Letztendlich habe ich ein Autogramm auf einer Quittung unterschrieben, weil man keine Telefone mitbringen darf und keine Selfies machen kann. Der Song handelt davon, wie sich das Blatt zwischen Vater und Tochter ein wenig gewendet hat. Es ist eine komplizierte Geschichte, in der alle Arten von Emotionen stecken. Meine Familie hat sich definitiv dafür entschieden, viele Dinge mit Galgenhumor zu betrachten, denn was willst du sonst auch tun? Es ist absolut absurd und herzzerreißend und lustig zugleich. Sprich: Es lohnt sich, ein Lied darüber zu schreiben.“„Live in the Dream“„Wenn es auf dem Album irgendwelche Berührungspunkte gibt, die auf Psychedelia hinweisen, dann sind wir in diesem Fall völlig psychedelisch geworden. Ich unterhielt mich mit Jack und er erzählte mir von einem Gespräch mit Bruce Springsteen. Bruce sprach, ich denke anekdotisch, über die Launen des Ruhms und über die Tatsache, dass wir viele Menschen daran verlieren. Viele begeben sich in dieser Atmosphäre in einen Schwebezustand, und das Geheimnis ist, nicht zuzulassen, dass der Traum von dir Besitz ergreift. Der Traum muss in dir selbst leben. Ich fand das wunderbar, also schrieb ich dieses Lied so, als ob du aus einem Traum aufwachst und diese Sirenen mit dir sprechen. Es gibt nützliche Wahnvorstellungen im Leben. Und dann gibt es Wahnvorstellungen, die – wenn sie nicht behandelt werden – zu einer Art Machtmissbrauch führen.“„Down“„Dieser Song ist eine Rachefantasie. Wenn du nett bist, denken die Leute, dass sie dich ausnutzen können. Nett zu sein ist nicht dasselbe, wie ein Schwächling zu sein. Wenn wir keine Verantwortung übernehmen wollen, könnten wir sagen: ,Nun ja, das liegt bestimmt an dieser Sache in meiner Vergangenheit‘, aber letztendlich gibt es menschliches Verschulden. Das Leben ist kompliziert, aber es ist mir egal, warum du verletzt bist. Das ist keine Ausrede, um grausam zu sein. Was auch immer deine Rechtfertigung ist, sie zählt nicht.“„… At the Holiday Party“„Jeder war schon mal so ein Mensch. Ich war auf jeden Fall diese Person, die ihre Traurigkeit mit allem Möglichen maskiert. Sei es, indem man sich richtig schick anzieht oder indem man über sein nächstes Projekt spricht, was immer das auch sein mag. Wir offenbaren uns durch die Dinge, die wir verbergen wollen. Der Song will zeigen, dass wir alle an diesem Punkt waren. Sich ein bisschen zu früh auf einer Party zu betrinken und diesen Moment zu erleben, in dem man sieht, wie jemandem die Gesichtszüge entgleiten – nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber es ist sichtbar. Da war plötzlich dieses winzige Fenster, mit Blick auf das, was wirklich mit dir los ist. Etwas, das du verschleiern willst, das aber in Wahrheit etwas über dich enthüllt.“

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