Zwischen Homophobie und Regenbogen-Overdose

Zwischen Homophobie und Regenbogen-Overdose

Das Interview mit Bernd Müller zum Nachhören

Bernd Müller ist Redakteur des Leo-Magazins und Mitorganisator des CSD in München. Mit Elise spricht er unter anderem über Homophobie, Coming-out in Schulen und den Christopher Street Day.

CSD in München

Seit 1980 läuft Bernd Müller regelmäßig beim Münchner CSD mit, diesmal beim Truck der Münchener AIDS-Hilfe - seit mehreren Jahren ist er Mitorganisator.

Dieses Jahr gibt's hier auch ein paar Neuheiten, denn es wird zum Beispiel mitten in der Fußgängerzone eine kleine Bühne geben, bei der Themen rund um die LGBTQ-Szene ausgesprochen und umfassend diskutiert werden. Das Ganze findet am 13. und 14. Juli von 15 bis 22 Uhr statt. Neben Gesprächen gibt es auch musikalische Unterstützung von Musikern mit queerem Bezug und/oder die einfach nur Lust haben die Community zu unterstützen. Mit dabei sind dieses Jahr 38 deutsche Städte, unter anderem auch egoFM-Städte, wie Würzburg oder Augsburg.

Hat das eigentlich überhaupt noch einen tieferen Sinn in der Community oder ist es bei den meisten nur eine große Party?

Beides, so Bernd Müller. Hier gehen Party und Politik Hand in Hand und das sei auch völlig ok.
"Jeder, der auf die Straße geht, ist Teil einer politischen Demo."

Letzte Woche ist der Pride Month zu Ende gegangen, da hat sich München auch ganz schön ins Zeug gelegt. Bernd redet sogar von eine Regenbogen-Overdose in ganz München. Ihm ist jedoch wichtig, dass es über das Ziel der Sichtbarkeit hinausgeht.
"Es darf keine Symbolpolitik bleiben, sondern muss Konsequenzen mit sich ziehen. Wir wollen als etwas angesehen werden, was keinen besonderen Status braucht, sondern einfach als normale Menschen."

Gerade ist der CSD natürlich auch im Leo-Magazin Hauptthema. Auch, weil man sähe, was sich alles dieses Jahr in der queeren Szene getan hat und über welche Themen die Leser diskutieren. Ein Problem sei die enorme Kluft zwischen Realität und theoretischem Anspruch, allen Menschen gerecht zu werden, so Bernd Müller. Dass Lesben und Schwule nicht miteinander arbeiten konnten, wäre früher ein großes Thema, sei es heute aber Gott sei Dank nicht mehr. Heute seien es meist Transmenschen oder People of Colour, die man zwar unterstützen will, jedoch Berührungsängste zwischen den einzelnen Gruppen vorherrschen. Bernds Ziel ist, dass alle Menschen sich integriert fühlen und anfängliche Zögerungen in der queeren Szene überwunden werden.

Auch auf der gesetzlichen Ebene soll sich auch einiges tun

Eine der wichtigsten landespolitischen Forderungen ist die Schaffung von Anlaufstellen bei der bayerischen Polizei für Opfer von homo-, bi- und transphobischer Gewalt. Früher sei es absolut undenkbar gewesen, bei so einer Art von Gewalt zur Polizei zu gehen, so Bernd. Sie sei nicht unbedingt der Freund und Helfer der Queeren gewesen, denn auch die Beamten hätten ihre Vorurteile gehabt. Heute sei es schon um einiges besser geworden, doch trotzdem müsse der Staat so etwas ernst nehmen.
"Wenn eine Gewalttat geschieht, geht das erstmal zur Polizei, nicht zur Selbsthilfegruppe oder zum Therapeuten. Und bei der Polizei muss man sich sicher fühlen. Bayern muss da gehörig nachlegen, um nicht weit hinter andere Bundesländer zurückzufallen"

Bei gesetzlichen Veränderungen gehe Bayern, neben der Anlaufstellen für homo-, bi- und transphobischer Gewalt, schon in die richtige Richtung, so Bernd. Eine wichtige Änderung stehe jedoch noch bei dem völlig veralteten Gesetz für Trans- und Intersexuelle an.

Was sagst du zu Menschen, die homophob sind?

Ein Grund einer jeden Diskriminierung sei meist, dass man es nicht besser weiß, sagt Bernd. Wenn man keinen Bezug zur queeren Community hat, lässt man sich oft über negative Klischees und Vorurteile aus Fernsehen und Zeitung beeinflussen.
 "Schwule sind nicht alles Tunten und Lesben sind nicht alle karohemden-tragende Motorradfahrerinnen."

Den Klischee-Homophoben gäbe es nicht, sagt Bernd. Aber gerade Diskriminierung bei jungen Leuten tauche immer wieder auf.

In anderen Ländern, wie Russland oder Ukraine, traf Bernd auf eine besonders heftige Art, wenn man offen als schwuler Mann rumläuft. Dort käme Diskriminierung von allen Generationen und Geschlechtern, egal welcher religiösen oder politischen Gesinnung.

Auch in Schulen ist Homophobie immer noch ein großes Thema.

Kinder befänden sich dort in der Adoleszenz und suchen nach ihrer Persönlichkeit. Der Wunsch, so zu sein, wie die anderen, ist so groß wie nie. Wenn man das nicht bieten kann, wird es schwierig. Hier wünscht sich Bernd Müller viel mehr Einsatz in der Bildungspolitik. In den Lehrplänen finde sich nahezu nichts zu diesem Thema und Direktoren verschließen oft die Türen vor dem Aufklärungsprojekten in München, die unentgeltlich nachmittags in den Schulen Vorträge halten würden. Hier könnten und sollten Eltern auch viel mehr Druck ausüben.

Eine gute Nachricht ist, dass das Coming-out Alter nach unten gegangen sei. Jungs und Mädchen werden sich viel früher ihrer Sexualität bewusst, weil sie es eben auch dürfen. Früher in Bernds Schulzeit hat man noch versucht seine Sexualität "wegzubeten" und gehofft, dass es nur eine Phase ist.
"Heute lässt sich das niemand mehr einreden. Man beschäftigt sich mit dem Thema und dass man die Möglichkeit überhaupt in Erwägung zieht, ist sehr gut."

Neue Begriffe wie: LGBTI, GLBT, LGBTI, LSBTTIQ, LGBTQIA+?

Viele steigen doch da auch nicht mehr durch - oder? Das Gute an den vielen neuen Begriffen, erklärt Bernd, sei, dass alle Menschen, die früher verschwiegen wurden, genannt werden.
"Wir müssen uns wirklich von dem Gedanken, dass es nur Mann und Frau und vielleicht dazwischen noch einen Bisexuellen gibt, verabschieden."

Wenn die Attitüde stimmt, sei es nicht schlimm, wenn man es nicht richtig benennen kann.
Bernd empfiehlt:
"Fragt die Menschen, wie sie sich bezeichnen!"



Bernds Appell an die egoFM-Hörer: Beschäftige dich mit dem Thema LGBTQ beschäftigen. Versuche, alle Menschen zu verstehen und bei Gewalt nicht zu zögern, auch den Mund aufzumachen und füreinander einzustehen.

Design ❤ Agentur zwetschke