Wenn Männer Särge bauen

Wenn Männer Särge bauen

Zeig mir deinen Sarg und ich spreche mit dir über meine Gefühle

Dürfen Männer Trauer, Schwäche, Sensibilität zeigen? Ganz klar: ja! So sieht das auch Günter Kusch, der Workshops zum Sargbauen anbietet. Im Interview erklärte er uns das mal genauer.

Also Sargbau – richtig gehört

Da kommen ausschließlich Männer zusammen, um gemeinsam in vertrauter Atmosphäre Särge zu bauen. Natürlich steckt da noch viel mehr dahinter. Wie man auf so etwas kommt? Die zündende Idee hatte der Chefredakteur der Nürnberger Zeitung Raimund Kirch, als Günter Kusch anfing als Referent für Männerarbeit beim Nürnberger Amt für Gemeindedienst zu arbeiten:
 "Wenn du gute Männerarbeit machen willst, musst du Sargbau nur für Männer anbieten."

Wie man sich bettet, stirbt man


Nach allgemeiner Verwunderung und einem halben Jahr später ließ Günter Kusch die Idee nicht los und so machte er sich an die Erstellung eines Konzepts. Bevor die Teilnehmer am Ende des Workshops möglicherweise im Sarg Probeliegen, beginnt das Wochenende mit einem Gang über den Friedhof in Segringen. Dort ist ein Grab wie das andere, weil jeder im Tod gleich ist.
Anders als zu Lebzeiten - so kommen auch unterschiedlichste Persönlichkeiten bei den speziell auf Männer ausgelegten Kursen zusammen. Vom 50+ oder Mitte 20-Jährigen sind die Kurse bunt durchgemischt.

Am Samstagvormittag ist es dann soweit. Es wird geleimt, genagelt und über den Schmerz, den man so mit sich rumtragt, geredet. In der Sargbaufabrik in Dinkelsbühl sind die wichtigsten Teile zum Zusammenbauen und Anpassen vorgefertigt. Außerdem können Verzierungen oder Symbole fürs Leben angebracht werden. Denn es soll nicht nur beim Thema Tod bleiben, wie Günter Kusch meint:
"Es soll darum gehen, wie ich mit der geschenkten Zeit umgehe, die ich noch habe. Wie nutze ich sie? Es soll erkannt werden, dass man noch viele wertvolle Tage vor sich hat, die gut zu gestalten sind."

Warum nur für Männer?


Die Idee ist einfach: Männer kommen ins Gespräch, wenn sie sich handwerklich betätigen. Man ist eben unter sich. Genau das zeigt sich, wenn auch Männer, die dem Kurs zunächst skeptisch gegenüberstehen, plötzlich anfangen sich auszutauschen. Außerdem ist es einfacher sich auszutauschen, wenn jeder irgendwie gleich ist - zwar aus verschiedenen Gründen teilnimmt, aber mit dem gleichen Ziel: die Wertschätzung für das Leben finden.

Öffnen sich Männer dem Thema Tod schwieriger?


Man fragt sich, warum gerade Männer so wahnsinnige Probleme haben über ihre Gefühle zu sprechen.
Meint man doch im Jahr 2019 angekommen zu sein, wo ein Teenager Frauen Schminktipps gibt und Musiker wie Childish Gambino besser twerken als Beyoncé.

Doch das Ganze birgt bei Männern ein größeres Problem: die Erziehung. Wenn kleinen Jungs das Weinen verboten wird und sie ständig mit Rollenbildern, wie ein Mann nun auszusehen hat, konfrontiert sind, scheinen Quoten wie diese nicht mehr allzu paradox: Die Selbstmordrate bei Männern ist dreimal so hoch wie bei Frauen – und das weltweit. Frauen leiden zwar häufiger an Depressionen und versuchen häufiger als Männer sich das Leben zu nehmen, zum Suizid kommt es allerdings trotzdem seltener. Das liegt vorrangig daran, dass psychische Erkrankungen bei Männern erst gar nicht erkannt werden. Die Versuche so etwas zu erklären sind weitreichend. Männer fühlen sich als Beschützer. Männer müssen nach Außen stark wirken – männlich eben. Aber ist es männlich, bis zur allerletzten Sekunde abzuwarten, wenn Hilfeversuche schon längst zu spät kommen? Ne. Männlichkeit sollte auch Selbstliebe bedeuten. Und auf sich selbst zu achten. Und wenn es so nötig ist, sich Hilfe oder ein ein offenes Ohr zu suchen - zum Beispiel bei einem Sargbaukurs.

Ein Brief für die Ewigkeit


Am Ende des Workshops schreibt jeder Teilnehmer einen Brief adressiert an sich selbst.
 "Was nehme ich mir für mein Leben im nächsten Jahr vor", ist die Leitfrage. Ein Jahr später schickt Günter Kusch den Brief an die Männer. Das zeigt, dass der Workshop nicht bei ein paar Tagen mit handwerklicher Beschäftigung bleibt. Die Botschaft ist tiefreichender, wenn man sich gemeinsam die letzten Dinge vornimmt. Mittlerweile sind immer mehr auf den Zug der emotionalen Kommunikation beim Sargbauen aufgesprungen. Man findet im Internet viele Angebote zum Gestalten des letzten Möbelstücks des Lebens. Günter Kusch legt Wert auf Qualität statt Quantität, weshalb er auch nur einmal im Jahr immer am Ewigkeitssonntag den Kurs, der Männer über ihre Gefühle sprechen lässt, anbietet.

Design ❤ Agentur zwetschke