Der globale Rausch

Der globale Rausch

Andreas Pichler im Interview

Am Abend ein Glas Rotwein zur leckeren Pasta, auf der Wiesn ein, zwei oder drei Maß, zum Geburtstag oder sonstigen Feiern anstoßen mit Prosecco – Alkohol gehört irgendwie dazu zum "normalen" Leben.

Risiko Alkohol

Aber: Jedes Jahr sterben drei Millionen Menschen weltweit an den Folgen des Alkoholkonsums – alle zehn Sekunden ein Mensch. Das sind mehr als durch Verbrechen, Verkehrsunfälle und illegale Drogen zusammen. Mit seinem Dokumentarfilm Alkohol – der globale Rausch hat der Regisseur und Filmemacher Andreas Pichler eine Doku über Alkohol veröffentlicht, die einen ziemlich erschrecken lässt.

Mit egoFM Elise spricht er darüber, warum Alkohol eigentlich so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, wieso die Industrie nicht will, dass man es als "Droge" bezeichnet und wie andere Länder damit umgehen.

  • Alkohol - Der globale Rausch
    Andreas Pichler im Interview

Ein, zwei, drei Gläschen - völlig normal, oder?

Andreas Pichler ist Sohn einer Winzerfamilie, Alkohol gehört also irgendwie dazu, seitdem er denken kann. Auch wenn er sich in seinem Dokumentarfilm kritisch mit dem Thema auseinandersetzt, trinkt er trotzdem noch Alkohol - und das auch gerne. Auf die Idee für seinen Film ist er jedoch gekommen, als er gemerkt hat, dass ihm der Alkohol persönlich zu schaffen gemacht hat. Einerseits gesundheitlich, anderseits aber auch mental. Andreas merkte irgendwann, dass es gar nicht immer so einfach ist, mal für einige Zeit auf Alkohol zu verzichten. Ein paar Gläschen Wein am Abend waren für ihn wie für viele andere völlig normal und ein Teil des Alltags, eine Art Ritual am Abend. Und genau dies nicht zu machen, fiel ihm sehr schwer. Deswegen wollte er hier einmal genauer hinschauen.
"Dann waren es auch wirklich schon diese statistischen Ziffern [...], die mich dann noch mal stutzig gemacht haben, was wir da eigentlich machen als Gesellschaft."  - Andreas Pichler

In unserer Gesellschaft ist die Droge Alkohol tief verwurzelt. Das liegt laut Andreas auch daran, dass unsere Kultur so stark mit der Geschichte von Alkohol verwurzelt ist und dieser schon vor tausenden von Jahren eine Rolle für uns spielte. Alkohol ist ein ständiger Begleiter. Was dabei viele vergessen - es ist und bleibt eine Droge. Doch viele Bierliebhaber*innen oder Winzer*innen zum Beispiel sehen das ganz anders und werden mitunter sogar ziemlich wütend, wenn man bei Alkohol von Drogen spricht.

Das Image bröckelt...

Gerade die Alkoholindustrie stellt sich vehement gegen die Bezeichnung, dass Alkohol eine Droge sei - unter dem damit verbundenen Imageschaden könnte die Branche enorm leiden. Das hat Andreas auch selbst gespürt, als er für seine Dokumentation mit einem Wirt auf dem Oktoberfest sprechen wollte. Eigentlich war schon alles festgemacht, auch dass das Team von Andreas im Zelt des Wirtes für die Doku drehen würde. Doch als Anheuser-Busch InBev, der so ziemlich größte globale Bierkonzern, zu dem auch Spatenbräu und Löwenbräu gehören, davon Wind bekam, verbot er dem Wirt mit Andreas und seinem Team zu sprechen und zu drehen.
"Das hat damit zu tun, dass die eigentlich eine höllische Angst haben. Jetzt nicht nur die Bier-, sondern generell die ganze Alkoholindustrie, weil sie Angst haben, so zu enden wie ein bisschen die Nikotinindustrie, die ja wirklich einschneidend zurückstecken musste in den letzten Jahrzehnten." - Andreas Pichler

Andreas sagt aber auch, dass die Alkohol-Branche von den Fehlern der Nikotinbranche gelernt hat. Während die Nikotinbranche Jahrzehnte lang gegen Studien argumentierte und behauptete, Zigaretten seien nicht gesundheitsschädlich, gibt die Alkoholbranche zumindest zu, dass Alkohol schädlich sein kann. Allerdings schiebt die Branche die Verantwortung an die Endverbraucher*innen weiter - die Konsument*innen haben es selber in der Hand, wie viel Alkohol sie trinken und wie schädlich die Droge damit für sie ist, so der aktuelle Kanon.

Nikotin vs. Alkohol

Das Tabakwerbeverbot wird in Deutschland seit Jahren immer weiter ausgeweitet. Ab dem 1. Januar soll Kinowerbung für Tabakwaren und Rauchen zum Beispiel nicht mehr erlaubt sein. Bei Alkohol ist man in Deutschland bisher jedoch nicht so streng. Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Schließlich sind doch beides gesundheitsschädliche Drogen.
"Das ist eine Machtfrage. Und weil bei Nikotin hat das ja auch lange gedauert. Es hat gefühlt ein Jahrzehnt - mindestens - gedauert, bis das sozusagen Konsens war, dass Nikotin schädlich ist. [...]" - Andreas Pichler

Außerdem hat sich die Alkoholindustrie laut Andreas bisher einfach cleverer angestellt als die Nikotinbranche. Zwar geht man hier auch gegen das schlechte Image vor (zum Beispiel, dass Alkohol in Maßen sogar gesund sein könnte), doch bei Weitem nicht so offensiv und aggressiv, wie die Nikotinbranche damals. Auch wenn es nur langsam vorangeht, merkt man zumindest in Europa, dass sich immer mehr ein Bewusstsein dafür bildet, dass Alkohol schädlich ist. Das zeigen auch die Alkoholkonsumzahlen, die aktuell rückläufig sind. Global gesehen gehen die Absatzzahlen aber immer noch weiter rauf, sagt Andreas.

Was macht Alkohol eigentlich mit unserem Körper?

Auch damit hat sich Andreas für seinen Dokumentarfilm auseinandergesetzt. Einerseits werden durch Alkoholkonsum verschiedene Botenstoffe ausgesendet, die bei uns ein Gefühl von Entspannung und Zufriedenheit auslösen. Das Feierabendbier oder das Gläschen Wein am Abend hilft uns also beim Relaxen.
"Gleichzeitig [...] greift Alkohol ich weiß nicht wie viele Organe im Körper an. Es ist einfach Humbug, dass Alkohol in irgendeiner Form für den Körper was Gutes tun kann. [...] Was jetzt mich persönlich am meisten beeindruckt hat, ist, dass Alkohol definitiv - das ist nicht spekulativ, sondern das ist klar - einfach krebsfördernd ist." - Andreas Pichler

Laut Andreas ist das immer ein Risiko, das viele beim Konsum entweder nicht bedenken oder wissen oder auch einfach bewusst ausblenden. Wie bei jeder Droge hat natürlich auch Alkohol Nebenwirkungen. Es ist wichtig, dass wir als Konsument*innen das wissen.



Andere Länder - andere Trinkkulturen?

Für seinen Dokumentarfilm ist Andreas auch in andere Länder gereist und hat dort das Trinkverhalten und den Umgang mit Alkohol kennengelernt. Beim Konsum selbst gibt es hier natürlich auch teils riesige Unterschiede. Besonders interessant fand er dabei aber seine Reise nach Nigeria.
"Weil dort, ich will mal sagen, die Fratze der Alkoholindustrie einfach klarer zu sehen ist. Weil es dort - in vielen afrikanischen Ländern - nicht so geregelt ist wie in Europa. Also auch mit Werbeeinschränkungen und so weiter und sofort. Und weil dort sozusagen die großen Konzerne, bei uns in dem Fall war es wirklich Heineken, [...] einfach gnadenlos versuchen, ihr Bier vor allem, aber alle möglichen Arten von Alkohol, unters Volk zu bringen."- Andreas Pichler

Mithilfe eines niederländischen Investigativjournalists fand das Team von Andreas in Nigeria zum Beispiel heraus, dass Heineken Prostituierte nutze, um ihr neues Dunkelbier zu bewerben.

Auch Island besuchte Andreas für seine Dokumentation. Das Land war noch vor 20 Jahren für sein extremes Bingedrinking bekannt - selbst Jugendliche im Alter von 14 Jahren betranken sich damals in Island regelmäßig und ziemlich extrem. Durch eine ziemlich progressive Herangehensweise konnte das Land sein Alkoholproblem aber um Einiges senken. Neben Verboten hat Island zum Beispiel sehr viel in Sport oder Musikschulen  investiert, sagt Andreas.
"Die Idee ist eigentlich, den Jugendlichen Alternativen anzubieten, sozusagen wie sie sich anders einen Kick holen können, ohne jetzt auf Alkohol oder andere Drogen zurückgreifen zu müssen. Und das war extrem erfolgreich, also die Zahlen sind enorm zurückgegangen, vor allem bei Jugendlichen." - Andreas Pichler

Wie können wir unseren Umgang mit Alkohol verbessern?

In Deutschland, sagt Andres, könnte es noch ein paar mehr Einschränkungen geben, zum Beispiel was das Bewerben von Alkohol angeht. Werbung für Alkohol könnte man so auch grundsätzlich verbieten. Auch das Alkohol in Deutschland rund um die Uhr verfügbar ist, sieht er kritisch - auch hier könnte man Einschränkungen vornehmen. Einen anderen Ansatz sieht Andreas bei dem Vorgehen von Island - also dass wir hier in Deutschland zum Beispiel zunächst in größeren Städten das Angebot für Kinder und Jugendliche ausweiten, sodass diese nicht auf Alkohol und andere Drogen zurückgreifen.

Auf persönlicher Ebene, betont er, sei es sehr wichtig, dass man sich der Folgen von Alkoholkonsum bewusst ist oder wird. Und deswegen legen wir dir hier zum Abschluss noch einmal die Dokumentation Alkohol – der globale Rausch ans Herz: 

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