22 Wochen warten

22 Wochen warten

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Armin Rösl

Wer in Deutschland psychologische Hilfe braucht, wartet aktuell im Schnitt 22 Wochen auf einen festen Therapieplatz. An zu wenig Psychotherapeut*innen liegt das allerdings nicht.

Armin Rösl ist Journalist und stellvertretender Vorsitzender und Öffentlichkeitsbeauftragter der Deutschen DepressionsLiga. Er hatte selbst schon eine schwere depressive Episode und setzt sich öffentlich für den Ausbau von Psychotherapieplätzen in Deutschland ein.
  • Armin Rösl über den Mangel an Therapieplätzen
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex


#22WochenWarten

Die Deutsche DepressionsLiga ist eine bundesweit aktive Patient*innenenvertretung für an Depressionen erkrankte Menschen. Am 10. Oktober, dem Welttag der Seelischen Gesundheit, wurde ihre Petition #22WochenWarten mit mehr als 100.000 Unterschriften an Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis90/Die Grünen) übergeben. Sie leitet den Gesundheitsausschuss des Bundestages. 


In Deutschland warten Menschen meist wochenlang auf ein Erstgespräch und dann sogar fast ein halbes Jahr auf einen festen Therapieplatz. 

Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer werden jährlich fünf Millionen Menschen in Deutschland schwer psychisch krank und benötigen eine Behandlung. Und der Bedarf steigt. Einerseits aufgrund aktueller Geschehnisse wie die Klimakatastrophe, Kriege oder die Pandemie. Andererseits auch, weil psychische Erkrankungen nicht mehr so stigmatisiert sind und dementsprechend mehr Menschen bereit sind, sich psychologische Hilfe zu suchen.

"Das ist auf der einen Seite natürlich gut, weil viele Leute sich jetzt auch trauen darüber zu reden, weil sie sich trauen, professionelle Hilfe zu holen. Nur ist das Problem, dass es eben zu wenig Möglichkeiten der Hilfe gibt, weil zum Beispiel die Bedarfsplanung der Kassensitze für Psychotherapie auf dem Stand von 1999 ist. Und das ist natürlich brutal überholt." - Armin Rösl

In der Petition wird eine Reform der Bedarfsplanung gefordert

Denn in Deutschland fehlt es nicht an Psychotherapeut*innen, sondern an sogenannten Kassensitzen, also der Lizenz, Behandlungen mit den Krankenkassen abzurechnen. Und wo sich hierzulande wie viele Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen kassenärztlich niederlassen dürfen, wurde mit der sogenannten Bedarfsplanung vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Diese Rahmenvorgabe soll eigentlich eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Versorgung gewährleisten, in der Praxis funktioniert genau das aber schon lange nicht mehr: Denn die Regelung von 1999 sieht eine Höchstanzahl von zugelassenen Psychotherapeut*innen vor, die eben überhaupt nicht mehr im Verhältnis zum aktuellen Bedarf steht. Und die Behandlung selbst zu zahlen, können sich die wenigsten leisten.


Die wichtigsten Infos zum Thema Bedarfsplanung findest du auch nochmal hier in unserem egoFM Reflexikon.


Wochenlang zu telefonieren und ständig Absagen zu kassieren ist unter normalen Umständen eine Zumutung, für Menschen mit psychischen Krankheiten aber oft schlichtweg nicht möglich.


"Wenn jemand in einer Depression ist, eine schwere Depression hat, dann ist es schon ein unheimlicher Kraftakt überhaupt in der Früh aufzustehen. Wenn so jemand für Therapieplätze Arztpraxen abtelefonieren muss - das kann er gar nicht, die Kraft hat er gar nicht mehr." - Armin Rösl

Um die Versorgung langfristig zu verbessern, muss untersucht werden, wie hoch der Bedarf heute tatsächlich ist und wie viele neue Kassensitze geschaffen werden müssen. Ganz besonders wichtig ist dabei der ländliche Raum, denn dort ist die Unterversorgung am extremsten zu spüren. Wer keinen Platz in einer kassenärztlichen Praxis findet, hat theoretisch die Möglichkeit, die Behandlung in einer privaten psychotherapeutischen Praxen finanziert zu bekommen. In der Realität funktioniert das aber selten und ist mit einem extrem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Auch das müsse sich dringend ändern, heißt es in der Petition.

Das Angebot zu verbessern ist auch Teil des Koalitionsvertrags der Ampel

Einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zur Reform der Bedarfsplanung gab es aber noch keinen. Auch sonst ist bisher nichts unternommen worden, um die Situation für die Betroffenen zu verbessern.

"Wir warten jetzt quasi ein Jahr lang, dass da was passiert, aber es ist Null komma Null passiert. Deswegen die Petition." - Armin Rösl

Bei der Übergabe der Petition war Armin Rösl allerdings positiv überrascht, denn Dr. Kirsten Kappert-Gonther hat signalisiert, dass sie alle Forderungen unterstützt. Sie allein kann die Änderungen natürlich nicht umsetzen, will den Gemeinsamen Bundesausschuss aber damit beauftragen, die Bedarfsplanung endlich zu reformieren. In diesem Ausschuss sitzen Vertreter*innen aus der Politik, von den Krankenkassen, den Ärzt*innen sowie die bundesweiten Patient*innenvertretungen - also auch die Deutsche DepressionsLiga. Die Patient*innenvertretungen sind allerdings die einzigen, ohne Stimmrecht in diesem Ausschuss. Das zu ändern, ist ebenfalls eine Forderung der Petition #22WochenWarten.

"Ich hoffe, dass auch das Gehör finden wird, dass wir Betroffenen von der Politik tatsächlich gehört werden." - Armin Rösl



Nicht nur die DepressionsLiga setzt sich dafür ein, den Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungen in Deutschland zu verbessern. Am 17. Oktober findet zum Beispiel eine digitale Demo der Initiative "Therapieplätze jetzt!" statt. Mehr Infos dazu findest du hier.

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